Michael Köhlmeier

Michael Köhlmeiers neuer Roman „Das Philosophenschiff“ erzählt in Form einer fiktiven Lebensgeschichte von den Untiefen des 20. Jahrhunderts. Leider wiederholt sich die Geschichte der Menschheit in groben Zügen immer wieder – „Das Philosophenschiff“ beweist es und erweist sich dabei als literarisches Meisterwerk mit erschütternder Aktualität.

Anouk Perleman-Jacob ist berühmt: In Russland geboren, legte die Architektin eine Weltkarriere hin. Ihren 100. Geburtstag feiert sie in ihrer Wahlheimat Österreich – und hat einen besonderen Wunsch: Sie trifft sich mit dem Ich-Erzähler (einem berühmten Schriftsteller), um ihm ihre Lebensgeschichte zu erzählen.

Dabei konzentriert sie sich vor allem auf ihre Ausreise aus der Sowjetunion Anfang der 20er Jahre: Ein riesiges Dampfturbinenschiff mit Platz für 2000 Passagieren legt in St. Petersburg mit ungewissem Ziel los – an Bord lediglich ein Dutzend ratloser Zeitgenossen auf ihrem Weg ins Exil.

Die 14-jährige Anouk und ihre Eltern haben eine ungewisse Zukunft vor sich. Und auch diese Schiffsreise ist befremdlich: Niemand scheint das Ziel zu kennen, jederzeit könnte die allmächtige Partei Exekutionen anordnen.

Derweil schaut sich das aufgeweckte Mädchen auf dem Schiff um. Und macht eine verblüffende Entdeckung: Auf dem Luxusdeck der ersten Klasse befindet sich ein weiterer Passagier, der heimlich auf das Schiff gebracht worden ist. Es handelt sich um keinen geringeren als Lenin persönlich.

Der Vater der Russischen Revolution und das kleine Mädchen freunden sich an und treffen sich immer wieder. Doch dann greift der Lauf der Geschichte (beziehungsweise der lange Arm der Partei) ein…

Michael Köhlmeier (Jahrgang 1949) beweist wie in „Zwei Herren am Strand“ sein Gespür für historische Zusammenhänge, die er immer mit seinem besonderen Touch erzählt. Im „Philosophenschiff“ geht es u. a. um die Gewalt von oben, die in Terror und Verfolgung mündet. Die Geschichte Russlands und der Sowjetunion ist auch eine Geschichte von Terror, Verfolgung und Angriffskriegen, und nicht zuletzt die eigene Bevölkerung wurde (und wird) zur Zielscheibe.

Der derzeitige Herrscher im Kreml sieht sein Reich als legitimen Nachfolgestaat der UdSSR – und beweist durch seine kriegerische und unterdrückerische Politik, dass er seinen zahlreichen Vorgängern in Sachen Gewaltherrschaft nur allzu willig folgt. Auch Lenin ordnete während des Bürgerkrieges Deportationen und Ermordungen vermeintlicher Gegner an („Roter Terror“). Ein Menschenfreund war dieser fanatische Revolutionär wohl eher nicht (wie man es bei Köhlmeier schön beiläufig nachlesen kann).

Doch gibt es auch andere Überzeugungen, andere Erfahrungen, andere Lebensläufe – das und noch viel mehr erfahren wir durch das wunderbare „Philosophenschiff“ aus der Feder eines großen Meisters.

Köhlmeier, Michael: Das Philosophenschiff (Hanser Verlag) 24€
Köhlmeier, Michael: Zwei Herren am Strand (dtv) 13,95€

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