Hideo Yokoyama

Hideo Yokoyama ist mit seinem brillanten Polizeithriller „64“ auch hierzulande berühmt geworden. Nun ist sein Romandebüt „50“ auf Deutsch erschienen – und wieder blickt Yokoyama tief in die Abgründe der japanischen Gesellschaft.

Soichiro Kaji ist ein hoch angesehener, 49-jähriger Polizeibeamter. Doch dann zeigt er sich selbst an und erklärt, seine an Alzheimer erkrankte Ehefrau auf deren Bitte hin getötet zu haben. Der scheinbar eindeutige Fall erweist sich im Zuge der Ermittlungen als rätselhaft und widersprüchlich. Was bedeutet etwa die Kalligrafie mit den Worten „Der Mensch lebt 50 Jahre“, welche in Kajis Wohnung gefunden wird? Will sich der Tatverdächtige demnächst umbringen? Kriminalkommissar Kazumasa Shiki ist gefordert…

Yokoyama beleuchtet mit „50“ die Strukturen der japanischen Polizei, die hier als Abbild der japanischen Gesellschaft gesehen werden muss. Hier wie dort geht es streng hierarchisch zu, die Männer in den Führungspositionen üben eine unangreifbare Macht aus, in den unteren Ebenen dominiert gegenseitiges Misstrauen und Unterwürfigkeit. Man muss von erstarrten Verhältnissen sprechen – engagierte Polizisten wie Shiki bekommen es da regelrecht mit japanischen Windmühlen zu tun.

50“ funktioniert nicht nur als höchst spannender Pageturner, sondern auch als kluge Analyse der japanischen Gesellschaft.

Man kann Herrn Yokoyama auch mit dem schmalen, aber gewichtigen Band „2“ kennenlernen. Hier werden zwei knifflige Fälle für das Polizeipräsidium Präfektur D geschildert. Ein legendärer Kriminaldirektor weigert sich aus unerfindlichen Gründen, seinen Posten zu räumen. Und in der zweiten Geschichte verschwindet eine junge Polizistin spurlos.

Keine Frage: Hideo Yokoyama gehört zu den Meistern der intelligenten, politisch relevanten Kriminalliteratur.

Amerika heute

Eine Farbe zwischen Liebe und Hass

Amerika ist in Aufruhr – die zahlreichen Demonstrationen der letzten Wochen und die Reaktionen darauf zeigen ein tief zerrissenes Land. Wie konnte es so weit kommen? Zwei Bücher analysieren auf unterschiedliche Weise eine Supermacht, die ins Wanken geraten ist.

Jessup könnte eine glänzende Zukunft vor sich haben. Der 17-Jährige ist intelligent, fleißig und brilliert in der Football-Mannschaft seiner Heimatstadt.

Dabei kommt er aus ärmsten Verhältnissen: Er ist mit Stiefvater und Halbgeschwistern in einem Wohnwagen aufgewachsen, seine Mutter arbeitet als Reinigungskraft und Kassiererin. Jessups Familie zählt zur abgehängten weißen Unterschicht – und gerade ist Stiefvater David John aus dem Gefängnis entlassen worden. Dort sitzt immer noch Halbbruder Ricky, der in Notwehr zwei Schwarze getötet hat.

Jessup sucht seinen eigenen Weg: Er geht nicht mehr in die „Heilige Kirche des weißen Amerika“ – und er hat eine schwarze Freundin. Doch da ereignet sich ein fataler Zwischenfall, der sein Leben verändert…

Alexi Zentner ist der Sohn von Sozialarbeitern, die sich gegen Rassismus und Antisemitismus einsetzten. Er musste miterleben, wie Neonazis gleich zweimal Brandanschläge auf das elterliche Büro verübten – verhaftet wurde nie jemand. Man kann die Sensibilität nur bewundern, mit welcher der Autor versucht, ein differenziertes Bild des abgehängten Amerikas zu zeichnen.

Eine Farbe zwischen Liebe und Hass“ beweist eindrucksvoll, dass alles nicht so einfach ist: Es gibt handfeste Gründe für die Wut der verarmten Unterschicht. Und es gibt immer noch Menschen, die um das tägliche Überleben kämpfen und dennoch ihren Stolz und ihre Würde nicht verlieren.

Amerika im Kalten Bürgerkrieg

Der deutsche Politikwissenschaftler Torben Lütjen, der seit einigen Jahren in den USA lehrt, wirft mit „Amerika im Kalten Bürgerkrieg“ einen Blick auf die vergangenen Jahrzehnte amerikanischer Politik.

Für Lütjen ist die Wahl Trumps zum Präsidenten das Endergebnis einer Entwicklung, die spätestens in den 60er Jahren ihren Anfang nahm. Bis dahin waren die beiden großen Parteien programmatisch kaum zu unterscheiden. Der Vietnamkrieg und die Proteste dagegen beschleunigten eine Lagerbildung, die sich mit dem Amtsantritt Ronald Reagans noch vertiefte. Der rechte Populismus, mit dem Trump triumphierte, okkupierte eine republikanische Partei, die sich schon lange nach rechts außen begeben hatte. Doch auch bei den Demokraten ist seit einigen Jahren eine zunehmende Radikalisierung zu beobachten.

Lütjens nüchterne Analyse macht wenig Hoffnung. Beide Lager haben sich in ihren Blasen bzw. Communities eingerichtet und verstehen die jeweils andere Seite nicht (oder wollen sie nicht verstehen). Wie ist die Wagenburgmentalität angesichts wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Probleme aufzubrechen? Andererseits haben die Amerikaner ja schon oft bewiesen, dass sie sich aus schwierigen Situationen herausmanövrieren können. Die Abwahl des amtierenden Präsidenten wäre da doch ein guter Anfang.

Zentner, Alexi: Eine Farbe zwischen Liebe und Hass (Suhrkamp) 18€

Lütjen, Torben: Amerika im Kalten Bürgerkrieg (wbg Theiss) 20€